Der STS ist die älteste und die wichtigste Tierschutzorganisation in der Schweiz. Seit rund einem halben Jahr hat Peter V. Kunz als neuer STS-Präsident das Zepter übernommen. Der Professor an der Uni Bern und renommierte Rechtsanwalt beschäftigt sich mit viel Leidenschaft mit dem Tierrecht, das zu den komplexesten Rechtsbereichen überhaupt gehört. Er will den STS zu einer starken Kraft entwickeln, die sich auf politischer Ebene wie auch bei der Frontarbeit wirksam als «Lobby der Tiere» einsetzt. Der gesamte Vorstand wird im Oktober 2025 neu gewählt.

Sie sind rund ein halbes Jahr Präsident des Schweizer Tierschutz STS. Was hat Sie bewogen, dieses Amt zu übernehmen und welche erste Bilanz können sie ziehen?
Peter V. Kunz: Im Januar 2024 wurde ich neu in den Vorstand des STS gewählt. Nach der Abwahl der damaligen Präsidentin sowie weiteren Abwahlen und Rücktritten im Vorstand herrschte ein riesiges Chaos im STS, was ich in der Folge zu beruhigen versuchte. Ausserdem wurde in Basel ein Strafverfahren gegen den Vorstand eingeleitet, das nach wie vor hängig ist. Da ich mich als Professor für Wirtschaftsrecht mit Finanzen und mit Corporate Governance gut auskenne, stelle ich mich seit April 2025 als Präsident zur Verfügung. Der STS ist heute auf gutem Weg. Es bleibt aber noch Einiges zu tun. Ich sehe mich als Reformer und hoffe, diese Arbeit in Zukunft weiterführen zu können.
Wo setzen Sie Prioritäten?
Der STS ist als Dachverband für mehr als 70 Sektionen die älteste und sicherlich auch die wichtigste Tierschutzorganisation in der Schweiz. Er muss sich in Zukunft wieder stärker und wirksamer als «Lobby der Tiere» einsetzen, in der Politik und ebenso bei der Frontarbeit, also beispielsweise für Tierheime der Sektionen. Unsere Organisation soll ausserdem wachsen, doch es braucht strukturelle und personelle Änderungen. Strukturell haben wir etwa neue Statuten und eine moderne Rechnungslegung, die künftig für Transparenz sorgt. Personell wird der gesamte Vorstand im Oktober 2025 neu gewählt. Es ist jedoch nicht einfach, fachlich gute Personen für dieses aufwändige Ehrenamt zu finden.
Jüngst haben Sie zwei Bücher zum Thema Tierrecht veröffentlicht. Was hat Sie als Professor für Wirtschaftsrecht dazu veranlasst und was fasziniert Sie so am Tierrecht?
Meine Beschäftigung mit dem Tierrecht an der Uni Bern und beim STS wurde und wird massgeblich durch meine Frau beeinflusst. Sie hat mich zu beiden Tätigkeiten stark motiviert. Tatsächlich gehört das Tierrecht zu den komplexesten Rechtsbereichen überhaupt. Es war für mich somit eine wissenschaftliche Herausforderung, der ich mich stellen wollte. Zusätzlich hat es mich als Mensch, der Tiere immer gerne gehabt hat, schon 40 Jahre lang irritiert, dass sich nur wenige Menschen juristisch fachlich mit Tieren beschäftigt haben. Es bestand insbesondere an den Universitäten eine riesige Lücke. Diese Lücke zu schliessen, war eine weitere Herausforderung, die ich gerne annahm.
Wie geht es den Tieren in der Schweiz?
Ich glaube, dass mit den Tieren, zumindest im Grossen und Ganzen, recht gut umgegangen wird. Dies dürfte vor allem im internationalen Vergleich zutreffen. Der Tierschutz ist nämlich nach wie vor ein «westliches» Thema, das in sehr vielen Staaten schlicht ignoriert wird. Das schweizerische Tierschutzrecht erweist sich unter diesem Aspekt als relativ fortschrittlich, wobei durchaus Verbesserungsbedarf besteht. Weite Teile der Bevölkerung verfügen zumindest über eine positive Grundhaltung zu Tieren. Die grössten Probleme sehe ich beim behördlichen und beim gerichtlichen Vollzug des Tierschutzrechts. Zudem dürfte es vielen Haustieren nicht so gut gehen, wie behauptet.
Welchen Stellenwert haben Tiere in der heutigen Gesellschaft?
Dies scheint nicht wirklich klar. Die vielen «Katzenvideos» auf YouTube oder TikTok sind sicherlich kein Beleg für ihren hohen Stellenwert. Der Umstand, dass in jedem zweiten Schweizer Haushalt ein Heimtier lebt, legt immerhin eine grosse Bedeutung von Tieren nahe, nicht zuletzt als «Freunde» oder «Familie». Vor 22 Jahren haben wir ins Zivilgesetzbuch geschrieben: «Tiere sind keine Sachen». Doch halten wir uns daran? Für mich im Vordergrund steht, dass Kinder und Jugendliche eine positive Tierbeziehung aufbauen. Deshalb befürworte ich Zoos. Für völlig verfehlt erachte ich es allerdings, wenn Tiere an Kinder verschenkt werden. Tiere sind keine Spielzeuge.
Kann es sein, dass die Leute mehr auf das Recht und Wohl der Tiere sensibilisiert sind. Welche Erfahrungen machen Sie?
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wie gesagt muss eine Sensibilisierung zugunsten der Tiere, um wirksam zu sein, schon bei den Kindern und den Jugendlichen ansetzen. Der STS unterstützt solche Bemühungen mit einem Programm, das mir sehr sinnvoll erscheint: «Krax», mit einem blauen Raben als Symboltier. Der STS veranstaltet über viele Jahre hinweg für Kinder zwischen neun bis elf Jahren die beliebten «Krax Camps» und führt lehrreiche «Krax Schulbesuche» durch. Bei den Erwachsenen bin ich hingegen etwas desillusioniert. In Volksabstimmungen setzen sich meist nicht Tierschutzanliegen, sondern ökonomische Interessen oder persönliche Befindlichkeiten durch.

Können Sie uns einen kurzen Überblick geben über die diversen Tätigkeiten des Schweizer Tierschutzes?
In Kürze ist das fast nicht möglich. Unser Dachverband setzt sich für sämtliche Tiere ein, also für die Heim-, die Wild-, die Nutz- und die Versuchstiere. Dabei geht es teils um direkte Tierschutzarbeit, beispielsweise durch die Unterstützung von Tierheimen und Auffangstationen oder durch das Durchführen von Tierkontrollen in der Landwirtschaft. Ebenfalls wichtig ist indirekte Tierschutzarbeit, etwa politische Einflussnahme auf Gesetzgebungen oder Aufklärungs- und Kampagnenarbeiten. Als weitere Beispiele sind wir stark engagiert für Katzenkastrationen und gegen Welpenhandel. Für ehemalige Labortiere von Tierversuchen verfolgen wir das Projekt «Rehoming».
Der STS ist auch politisch tätig. Was sind zurzeit die wichtigsten Geschäfte?
Unsere Organisation unterstützt verschiedene Volksinitiativen, etwa die «Feuerwerksinitiative» oder die «Pelzinitiative». Kürzlich wurde ich in einer nationalrätlichen Kommission zur «Stopfleber-Initiative» angehört. Seit langer Zeit setzt sich der STS für eine Reduktion von Tierversuchen ein. Die schwerwiegendsten Eingriffe, die Versuche «Schweregrad 3», sollten nach unserer Ansicht generell verboten werden. Mich persönlich enttäuscht es, dass der STS – warum auch immer – keine nationalen Parlamentarier motivieren konnte, im Herbst für unseren Vorstand zu kandidieren. Tierschutz scheint offensichtlich nach wie vor politisch nicht allzu attraktiv zu sein in der Schweiz.
Die Revision der Tierschutzverordnung ist aufgegleist. Was sind dabei die wesentlichen Punkte und wo liegt der grösste Handlungsbedarf?
Der STS hat diese Verordnungsrevision eng begleitet und eine umfassende Vernehmlassung bei den Behörden eingegeben, die weitgehende Verbesserungen zugunsten der Tiere gefordert hat. Beispielsweise wird das Mindestalter für Welpenimporte erhöht, für Legehennen werden zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten verlangt und schliesslich sind für Esel soziale Kontakte zu Artgenossen zentral. Unverständlicherweise durch die Revision nicht geregelt werden jedoch Brandschutzvorschriften in Ställen, obwohl jedes Jahr tausende Tiere elendiglich verbrennen, ein Skandal. Dass der Bundesrat in diesem Bereich nicht längst aktiv wurde, erachte ich schlicht als Arbeitsverweigerung.
Was sind wichtige STS-Projekte?
Unsere Organisation hat zahlreiche praxisorientierte Projekte, die unmittelbar das Leben von Tieren retten. Nebst dem «Rehoming» für überlebende Labortiere aus Tierversuchen, die durch dieses Projekt in Privathaushalte platziert werden, kann beispielsweise die «Rehkitzrettung» mittels Drohnen erwähnt werden. Dass der STS jährlich Katzenkastrationen mit fast einer halbe Million Franken finanziert, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Es gibt auch verbandsinterne Projekte, die für die Zukunft des STS wichtig sind, beispielsweise die Gespräche mit potentiellen Sektionen zur Aufnahme oder der umfassende Strategieprozess, den wir kürzlich gestartet haben.
Was wünsche Sie sich für den Schweizer Tierschutz für die Zukunft?
Unsere Organisation muss in der Politik und in der Zivilgesellschaft zu einer starken und glaubwürdigen Stimme für die Tier und ihren Schutz werden, als «Lobby» durchaus auf Augenhöhe mit dem Bauernverband, der dies höchste professionell macht. Kurzfristig hoffe ich darauf, dass wir einen tollen neuen Vorstand in der Delegiertenversammlung wählen, und ich würde mich natürlich auch über eine Wiederwahl als Präsident des STS freuen. Es ist mir ein persönliches Anliegen, künftig unsere Sektionen stärker zu aktivieren. Und schliesslich hoffe ich, dass die Staatsanwaltschaft das erwähnte Strafverfahren zügig fortsetzt, damit unsere Vergangenheitsbewältigung in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann.
Interview: Corinne Remund
Seit über 160 Jahren setzt sich der Schweizer Tierschutz STS für das Wohl der Tiere ein. Hartnäckig, glaubwürdig und wirkungsvoll. Seine starke Kompetenz nutzt der STS national auf fachlicher und politischer Ebene, um den Tierschutz zu verbessern und Menschen für Tierschutzthemen zu sensibilisieren. Die operative Leitung des STS liegt bei der Geschäftsleitung. Die Tierschutzarbeit wird von 80 Mitarbeitenden in den Fach- und Beratungsstellen geleistet. Sie informieren und beraten Tierhaltende, kontrollieren Tierhaltungen, Tiertransporte und Schlachthöfe, arbeiten mit Schulklassen am Thema Tiere sowie Tierschutz und setzen sich hartnäckig für strengere Tierschutzvorschriften ein.
Der STS ist auf finanzielle Unterstützung in Form von Spenden und Zuwendungen angewiesen. Der Hauptsitz und die Geschäftsstelle befinden sich in Basel.






